Hal, der Medizinmann

Ich traf Hal zum ersten Mal, als mich meine Gastgeberin zu einem seiner offenen Treffen mitnahm. Im April 2016 war ich mit einer Greencard in die USA eingereist, per One-Way-Tocket. Ich wollte genau ein Jahr bleiben. Ich hatte mit dieses eine Jahr gegönnt, um inne zu halten, um mich an die guten Dinge im Leben zu erinnern und mir selbst mögliche zukünftige Perspektive vor Augen zu führen. Ich hatte dabei absolut keinen Plan und war im Kopf auch so ausgebrannt, dass die Energie irgendetwas Großartiges aktiv anzugehen auch gar nicht da war.

Aber ich hatte ein Bild im Kopf. Es zeigte mich als Nomade. Und so ließ ich mich ein wenig treiben, nicht ohne achtsam zu sein, aber ganz bestimmt ohne konkrete Absicht.

Ein kleiner Einschub bezüglich Absicht: Immer, wenn ich auf dieser Reise dann wirklich etwas mit Absicht und Wille anging, dann schien eine unüberwindbare Hürde vor mir aufzutauchen. Interessanterweise waren die Umwege, um die Hürden zu umgehen, dann die spannendsten und bereicherndsten Abschnitte meiner Reise. Schon allein der Umstand, dass ich statt zwei Wochen ganze drei Monate lang auf einer Ranch im texanischen Hill-Country verbrachte, zeugt von diesen ungeplanten Umwegen. So dauerte zum Beispiel mein Vorhaben den US-Führerschein zu machen, schließlich auch mehrere Anläufe und auch Monate. Ich übte mich also in Geduld. Denn das Bild von mir als Nomade, nicht am Kamel wohlgemerkt, sondern in einem Geländewagen, leitete mich. Ich wusste aber tief in mir, dass es nichts war, das ich erzwingen konnte.

Nun aber zurück zur eigentlichen Story, die ich hier erzählen möchte. Hal war Mitte 50. Er war Lakota. Nicht nur das, er war auch Medizinmann. Ein echter Lakota-Medizinmann. Seine Medizin nannte er »Stalking«.

Stalking als Medizinmann-Medizin hat dabei nichts mit dem Verhalten eines enttäuschten Freiers zu tun, der unbeugsam seiner Liebe hinterherstellt. Stalking bezieht sich auf das Aufstöbern von Gedanken, die uns in unserem Leben limitieren. Man stelle sich einen kleinen Teufel und einen dazupassenden Engel auf der Schulter vor, unsere Einflüsterer sozusagen. Einfach gesagt Stimmen, die unseren Verstand beeinflussen und uns Dinge sagen oder tun lassen, die anderen Schmerz, Kummer und Leid zufügen, uns dabei selbst nicht gut tun.

Stöbert man diese Gedankengänge nun auf, dann stellt man sie mit der Hal’schen Stalking Methode zur Rede. Man beginnt eine Auseinandersetzung mit der Stimme im Kopf. Das geht soweit, dass man sich diese vorstellt, als säße sie auf dem Stuhl gegenüber. Eine andere Person kann diese Stimme für mich verkörpern, oder aber ich schlüpfe in die Rolle der Stimme und erzähle einem Gegenüber was ich fühle, spüre, und was meine Intentionen sind. Hal leitet diese Gespräche behutsam an. Immer wieder fragt er nach, woher ein Gedankengang kommt. Ob man bereit ist sich davon zu lösen. Was denn der Gedanke von einem selbst hält. Bei letzterer Frage kommt so manches Mal die feindliche Haltung der eigenen Gedanken uns selbst gegenüber zum Vorschein und so werden in diesen Dialogen höchst spannende Dinge aus dem Unterbewusstsein, mitunter Kurisoses und auch große Gefühle angesprochen, aus denen heraus diese Gedankengänge entstenden sind. Mag sein, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt für uns behilflich waren. Oftmals sind sie das eben im Heute nicht mehr.

Die Idee hinter Hals Medizin im Sinne von Heilung ist nun, dass ich mir bewusst vor Augen halte, dass ich selbst meine Gedanken entstehen lasse. Ich bin der Schöpfer meiner Gedanken und gebe ihnen somit erst die Kraft, die sich dann gegen mich oder gegen meine Umwelt richtet. Ich kann nun also den Gedanken die Energie, die ich Ihnen geschenkt habe wieder entziehen. Sie verstummen dann und plötzlich wird Lebensenergie für mich selbst frei.

If you live your life free from judgement, self importance and self pity – then true awareness and awakening ist possible.

Hal Robinson

Zu vollem Bewusstsein (awareness), sagt Hal, kommen wir erst, wenn wir eine Leben frei von folgenden drei Gedankenmustern leben:

  • Urteil und Vorurteil (judgement)
  • Selbstüberhöhung, Egoismus (self importance) und
  • Selbstmitleid (self pity).

Ich besuchte Hal dann noch ein paar weitere Donnerstage während meiner Zeit in Texas. Ichhätte Hal nie getroffen, ich hätte seine Medizin das Stalking nie kennen gelernt, wenn ich nicht die Geduld aufgebracht hätte, in Texas zu bleiben und den Lauf der Dinge abzuwarten. »Stalking« war eines jener Geschenke, mit denen mich die Geduld immer wieder belohnt. Mein Tipp: Sei wachsam für Geschenke dieser Art, auch wenn sie dich ins unbekannte schicken. Wer weiß, welcher Schatz in ihnen stecken mag.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.